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Nachruf auf Christian Krähling

Nachruf auf Christian Krähling

von Amazon Workers International

Am 10. Dezember 2020 ist unser Genosse und unersetzlicher Freund, Christian Krähling, verstorben.

Aufzeichnung der online Gedenkveranstaltung vom 21. Februar 2021 hier: https://www.youtube.com/watch?v=_wjVmnwVso0

Christian arbeitete seit 2009 bei Amazon in Bad Hersfeld. Er war der Mitbegründer der Amazon Workers International (AWI), Mitglied des Amazon-Betriebsrats in seinem Lager, ein Kämpfer, ein großartiger Liedermacher und ein engagierter Unruhestifter an der Basis.

Die Geschichte der AWI begann im Frühjahr 2015, als Christian das erste Treffen zwischen Arbeiter*innen aus Polen und Deutschland in Bad Hersfeld initiierte. Äußerst inspiriert davon beschlossen die anwesenden Arbeiter*innen, sich von nun an regelmäßig zu treffen. Danach kamen Christian und andere Arbeiter aus Deutschland im Mai 2015 nach Polen zu einem internen Treffen und einer Demonstration in Warschau gegen prekäre Arbeitsbedingungen. Im September 2015 war Christian erneut in Polen, um einen öffentlichen Vortrag zu halten, in dem er das Ziel der Arbeiter*innenorganisierung wie folgt beschrieb: „Wir erbringen die ganze Leistung, wir bringen den Erfolg. Deswegen wollen wir auch der bestimmende Faktor sein. Wir wollen unsere Arbeitsbedingungen selber bestimmen“ [siehe das Video (1) und die Zusammenfassung des ersten grenzübergreifenden Treffens von Amazon-Arbeiter*innen (2)]. Beim AWI-Treffen mit Amazon-Arbeiter*innen aus Polen, Deutschland und Frankreich im selben Monat begann Christian verschmitzt lächelnd, über kleine Dinge zu sprechen, die Arbeiter*innen in Amazon-Lagern tun, um die Manager zu ärgern, Zeit herauszuschlagen und ihren Widerstand zu zeigen. Er motivierte alle, sich weitere Möglichkeiten für diese Art von Sabotage einfallen zu lassen. Er zeigte uns, dass es für ihn im Kampf nicht nur um irgendeinen Tarifvertrag ging, sondern darum, die Würde der Arbeiter*innen zurückzugewinnen im Kampf gegen Amazon-Manager, die täglich versuchten, die Arbeiter*innen zu demütigen.

In den folgenden Jahren wurden alle sechs Monate grenzübergreifende Arbeiter*innenversammlungen organisiert: in Berlin, Paris, Bad Hersfeld, Poznan, Leipzig, Madrid und Lille. Christian war immer dabei und betonte die Notwendigkeit der internationalen Organisierung [mehr dazu im Interview mit Christian in der Broschüre „Strike the Giant“: (3)]. Wir trafen uns, um zu diskutieren und Ideen auszutauschen, aber wir verteilten auch gemeinsam Flugblätter in nahe gelegenen Amazon-Lagern, unterstützten Streiks, organisierten Streikposten vor Zeitarbeitsfirmen und nahmen an Demonstrationen teil.

Christian spielte bei den AWI-Treffen immer die Schlüsselrolle: Er bereitete Berichte vor, hielt Präsentationen und schlug Kampagnen vor. Für ihn war der Kern die Selbstorganisation der Arbeiter*innen in den Lagerhallen. Unsere Treffen waren die Erweiterung dieses Graswurzelansatzes auf internationaler Ebene. Wenn er von Arbeiter*innen hörte, die sich lokal organisierten und Unterstützung brauchten, sprang er einfach ins Auto und tauchte da auf. Er sprach auf Belegschaftsversammlungen in Lagern in ganz Deutschland, um lokale Gewerkschaftsgruppen mit seinem Humor und seiner Eloquenz zu unterstützen. 2018 half er den Streikenden in Spanien, als er am „Black Friday“ den Streik der Amazon-Beschäftigten in Madrid besuchte.

Christian war Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Sein Verhältnis zu deren Führern und Funktionär*innen war jedoch oft konfliktreich. Die Arbeitskolleg*innen waren sein Bezugspunkt, nicht die Gewerkschaftsbürokratie, politische Parteien oder NGOs. Auf die Frage, ob AWI mit solchen Organisationen zusammenarbeiten sollte, antwortete er strategisch: "In den letzten neun Jahren unserer Organisierung sind Dutzende von Organisationen von außen an uns herangetreten und haben uns Unterstützung angeboten. Aber sie alle kamen und gingen. Wir sind es, die immer hier geblieben sind, in den Lagern, mit unseren Leuten". Er freute sich jedoch, Koalitionen mit Amazon-Arbeiter*innen auf den verschiedenen Ebenen der Konzernleiter zu bilden: als zwei Arbeiter*innen in der Amazon-Zentrale in Seattle, USA, entlassen wurden, nahm er an einem Solidaritäts-Krankentag teil (4).

Im April 2018, während einer von AWI und ver.di organisierten Demonstration in Berlin gegen die Verleihung eines Preises an Jeff Bezos für sein "visionäres Geschäftsmodell", stellte sich Christian hinter die Amazon-Arbeiter*innen aus Polen, als Politiker und Gewerkschaftsbürokraten versuchten, die Bühne zu übernehmen und sie auszugrenzen. Er war auch wütend, als die Gewerkschaftsfunktionäre viel Geld für Konferenzen in Luxushotels ausgaben, während sie Treffen der Arbeiter*innen nicht finanzierten. Im Jahr 2015 weigerten sich einige ver.di-Funktionäre sogar, Christian und andere Genoss*innen aus den Betrieben zu internationalen Treffen fahren zu lassen, um dort im Namen ihrer Gewerkschaft zu sprechen. Sie fuhren trotzdem hin und bezahlten die Reisekosten selbst (und taten dies auch in den folgenden Jahren).

Christian wollte Streiks organisieren und Arbeiter*innen ermächtigen, nicht in Konferenzen sitzen. Als die Amazon-Arbeiter*innen in Polen 2019 eine Streikurabstimmung organisierten, drehten er und seine Kolleg*innen einen Solidaritätsfilm, in dem sie dazu aufriefen, für den Streik zu stimmen [siehe „Strajk tak!“ Ja zum Streik! (4)]. Einmal wurde Christian zu einer Konferenz eingeladen, die von Gewerkschaftsfunktionären organisiert wurde, und erzählte uns später die Geschichte: Er langweilte sich furchtbar, konnte es kaum erwarten, zum Abendessen und auf ein Bier zu gehen, aber niemand schloss sich ihm danach an, denn für die anderen war die Konferenz nur ein Job. Christian war anders: sein ganzes Leben drehte sich darum. Er wollte Freundschaften schließen, mit anderen über Amazons lächerliche interne Maßnahmen lachen und um 5 Uhr morgens die nächsten Aktionen planen. Bei AWI-Treffen war er immer der Letzte, der ins Bett ging – nachdem er Protestlieder gesungen hatte. Er plante, ein AWI-Streik-Liederbuch zu schreiben. Eines seiner Lieder war den Chicagoer Amazon-Arbeiter*innen gewidmet, die im Frühjahr 2020 Arbeitsniederlegungen organisierten (5).

In den letzten Wochen, während der -Aktionen, machte Christian Fotos mit seinen Kollegen vor dem Amazon-Lager in Bad Hersfeld. Sie hielten Souvenirs hoch von den internationalen Kontakten, die er geknüpft hatte: die Fahnen der Inicjatywa Pracownicza (Arbeiter*innen-Initiative) in Polen, der CGT Amazon in Spanien, der Sud Solidaire in Frankreich. An seiner Mütze trug er ein Abzeichen der Amazonians United aus den USA, die in ihrer Kampagne für bezahlte Abwesenheitszeiten (paid time off: PTO) eingesetzt werden. Außerdem hatte er auf seine Weste einen Slogan gekritzelt, mit dem die Amazon-Arbeiter*innen in Polen im November 2020 für einen höheren Bonus kämpfen: „2.000 Zloty für alle“. In den kommenden Wochen wollte er eine internationale Zeitung für Amazon-Beschäftigte gründen und Geld organisieren, damit die AWI Kontakte zu Arbeiter*innen in Lateinamerika knüpfen kann.

Wir werden diese großen Pläne nicht in einer Schublade verstauben lassen! Wir sind in tiefer Trauer über Christians Tod und sprechen seiner Familie unser Beileid aus. Für die AWI ist er unersetzbar, und wir haben einen Freund verloren. Das AWI-Komitee wollte sich am nächsten Sonntag treffen und mit Christian unsere weiteren Pläne besprechen. Wir sind sicher, dass es sein letzter Wille war, dass wir weiter für Arbeiter*innenmacht kämpfen, seine Ideen umsetzen und unser Netzwerk ausbauen, wo immer Amazon-Beschäftigte sagen: "Es reicht, wir verdienen was Besseres!"

Christian, wir werden unser gemeinsames Projekt fortsetzen, und wir wissen, dass Du bei jeder Streikpostenkette mit uns sein wirst. Danke für die tolle Zeit, die wir mit Dir verbringen durften, danke für die Inspiration, die Du uns gegeben hast! Wir werden weiter kämpfen!

Amazon Workers International

1. Amazon-Arbeiter*innen treffen sich in Poznań: https://de.labournet.tv/amazon-arbeiterinnen-treffen-sich-poznan-0; siehe auch: Amazon-Arbeiter*innen an die Berufskraftfahrer: https://de.labournet.tv/amazon-arbeiter-die-berufskraftfahrer.

2. Internationales Treffen der Amazon-Arbeiter*innen, https://amworkers.wordpress.com/2017/03/19/international-amazon-workers-meeting-2/.

3. PDF „Strike the Giant! Transnational Organization against Amazon“, https://www.transnational-strike.info/wp-content/uploads/Strike-the-Giant_TSS-Journal.pdf.

4. Christian spricht bei „Amazon Employees for Climate Justice – 4/24 Sick Out Day“, ab 2:16:26, https://www.youtube.com/watch?v=5s5Aup66EZU.

5. Video „Strajk tak“, https://www.facebook.com/PracownicyAmazona/videos/478207162997965.

6. Lied „Amazonier bleibt heiter

Kommentare

Gemeinsamer Kampf für eine menschliche, lebenswerte von Gemeinsinn und gegenseitigen Respekt geprägten Welt, unserer Welt. Unser Hass und unsere Abscheu, solchen Verhältnissen wie bei Amazon und den Nutznießern solcher Verhältnisse, solchen Leuten wie Bezos.
Es lebe euer Kampf, der auch der Kampf aller Arbeiter ist!

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