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Repression gegen Streikende in Italien

Polizeieinsatz gegen Streikende vor AlcarUno Levoni

Repression gegen Streikende in Italien

5 videos | 2017

Ein immer größerer Teil der der Arbeitnehmer_innen in Italien werden in irregulären Beschäftigungsverhältnissen ausgebeutet. Im Jahr 2015 arbeiteten etwa 2 Millionen Menschen schwarz (fast 10% der gesamten Arbeiter_innenschaft), etwa 750.000 wurden als sogenannte "arbeitende Mitglieder" in Kooperativen ausgebeutet.

Was die Arbeitsverhältnisse angeht, sind wir wieder im Mittelalter angekommen

urteilt Simone Carpeggiani von der Basisgewerkschaft SI Cobas.  (Über die Arbeitsbedingungen in den Kooperativen berichteten wir in dem Film "Die Angst wegschmeißen").

Eine Bewegung entsteht

Da diese Menschen von den großen italienischen Gewerkschaften nicht vertreten werden, haben sich neue, kämpferische Gewerkschaften wie der SI Cobas, oder ADL Cobas herausgebildet. Der 2010 gegründete SI Cobas unterstützt den weitgehend selbstorganisierten Widerstand der Arbeiter_innen v.a. in der Logistikbranche. Die Arbeiter_innen gewinnen ihre Kämpfe oft und das macht einen großen Unterschied: manche konnten ihren tatsächlich ausbezahlten Nettolohn verdoppeln. Gewalttätige Vorarbeiter mussten entlassen, gefeuerte Kolleg_innen wieder eingestellt werden. Insgesamt ist es in vielen Kooperativen der Logistikbranche gelungen, die Einhaltung des gesetzlich vorgesehenen Mindeststandard durchsetzen. Der Zustrom zu diesen Gewerkschaften und die Bereitschaft zu streiken nehmen deshalb bis heute zu.

Komplizenschaft zwischen Unternehmen und staatlichen Institutionen

Seit dem Beginn der anschwellenden Bewegung hatten es die meist jungen und migrantischen Überausgebeuteten mit „normalen“ Repressionen durch die das jeweilige Unternehmen schützende Carabinieri zu tun: Schlagstöcke gegen Blockaden, Hausarreste und Verbote ein bestimmtes Stadtgebiet zu betreten sind seit 2011 an der Tagesordnung. Dutzendweise fuhren bei Blockaden aber auch Firmenwagen in die Streikposten. Die Gegenseite trat seit Beginn der Bewegung in verblüffend geschlossener Weise als bürgerlicher Block auf, dem nicht nur Unternehmen und die großen Medienkonzerne angehören, sondern auch die Polizei, das Arbeitsinspektorat, die politischen Parteien in den regionalen Parlamenten, die Staatsanwaltschaften, das staatliche Fernsehen und - die großen Gewerkschaftsdachverbände.

Neue alte Repression: Abd El Salam

Am 14. September 2016 hat diese Gemengelage Abd El Salam das Leben gekostet. Abd El Salam, der für das deutsche Logistikunternehmen GLS arbeitete, hat gestreikt, damit einige seiner Kollegen eine Festanstellung bekommen. Ein Arbeitskollege fuhr auf Geheiß eines Vorgesetzten mit einem Firmen LKW in den Streikposten. Abd Elsalam war auf der Stelle tot. Er starb mit dem Megafon in der Hand, wie seine Kollegen berichten.

Unser Kollege wurde vom Unternehmen umgebracht. Von GLS.

Die Staatsanwaltschaft von Piacenza bezeichnet den Vorfall als Verkehrsunfall. Das Verfahren ist nicht abgeschlossen. Der Mord an einem Streikenden scheint bisher jedoch durch die Justiz gedeckt zu werden, mit der absehbaren Folge, dass die Praxis, mit Firmenwagen in Streikposten zu fahren weitergehen wird. Die Empörung blieb jedenfalls auf die Arbeiter_innen und beschränkt, die nach dem Mord an Abd Elsalam in vielen Unternehmen die Arbeit niederlegten und auf die Straße gingen. Der Fall löste aber keine allgemeine, „veröffentlichte“ Betroffenheit aus. Lokalpolitiker_innen und große Medien ließen sich bei den Demonstrationen wegen dem Mord an Abd Elsalam nicht blicken.

Im Januar 2017 ging der bürgerliche Block auf diesem Pfad noch einen Schritt weiter und inszenierte ein Komplott, für das sich zumindest Levoni und die Polizei abgesprochen haben müssen. Der Ergebnis des Komplotts war ein Polizeivideo, das von allen Fernsehsendern gespielt wurde und die Nachricht, der Sprecher des SI Cobas hätte Bestechungsgeld verlangt, um die Streiks in der Modeneser Fleichindustrie zu beenden. Hier die Vorgeschichte:

900.000 Euro ausstehende Löhne und Sozialabgaben: Wurstriese Levoni unter Druck

AlcarUno ist eine Koperative, die für das in Italien sehr bekannte Unternehmen Levoni arbeitet. Der Kampf dauert bis heute an. Die Bedingungen in der Fleischindustrie sind noch schlimmer als die in der Logistik. Verletzungen, weil Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden, 16 Stunden Schichten und falsche Lohnabrechnungen sind an der Tagesordnung. 55 Arbeiter der Kooperative AlcarUno/Levoni wurden im November 2016 anlässlich eines Kooperativenwechsels entlassen und von der neuen Kooperative nicht wieder eingestellt. 28 von ihnen sind im SI Cobas organisiert.

SI Cobas hat eine Reihe von Streiks in Levoni Fabriken durchgeführt, um die Wiederaufnahme von Entlassenen und die Zahlung von ausstehenden Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung durchzusetzen, ohne die sie nicht einmal Arbeitslosengeld beanspruchen können. SI Cobas hat außerdem die Levoni Group auf Zahlung von fast einer Million an ausstehenden Löhnen, Beiträgen und Krankengeld verklagt

heißt es in einer Presseerklärung des Si Cobas

Die Arbeitgeber weigerten sich zunächst zu verhandeln. Doch dann gabt es plötzlich ein Verhandlungsangebot. Der Sprecher der SI Cobas, Aldo Milani, kam am 27.Januar 2017 zu einem Treffen mit Levoni und AlcarUno. Im Verhandlungsraum hatte die Polizei eine versteckte Kamera aufgestellt. In dem Video, das anschließend in allen Fernsehkanälen landesweit gesendet wird, ist zu sehen, wie einer Person, die neben Aldo Milani sitzt, ein Kuvert gegeben wird. Milani schaut währenddessen in eine andere Richtung und redet. Der Mann, Danilo Piccinini, steckt es ein und überkreuzt dann zwei mal seine Handgelenke. Als sie die Verhandlungen verlassen, werden Piccinini und Milani festgenommen. In dem Kuvert waren 5.000 Euro.

Das Video wurde in allen Fernsehsendern als Beweis dafür genommen, dass „zwei Gewerkschafter“ des SI Cobas Geld genommen hätten, um weitere Streiks zu verhindern. Der Mann, der das Kuvert angenommen hat, wurde als Gewerkschafter des SI Cobas bezeichnet. Tatsäch war Piccinini, so die Gewerkschaft SICobas „18 Monate wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis“ und arbeitete zum Zeitpunkt der Geldübergabe als Berater für die Levoni Group. Von den Medien wurde er jedoch in den ersten Tagen, als der Skandal prominent durch die Presse ging, durchgehend als SI Cobas Funktionär bezeichnet. Die wichtige italienische Tageszeitung La Repubblica z.B. titelte: „Modena. Sie verlangten Geld um die Streikposten zu beenden. Zwei Gewerkschafter verhaftet.“ Il Giornale d‘Italia, ganz auf der Seite der Arbeiter_innen: „Kuverts auf dem Rücken der Arbeiter

Erst Tage später, als die Nachricht aus den Schlagzeilen verschwunden war, wurde Piccinini in der Presse nicht mehr als Gewerkschafter des SICobas, sondern als „Berater“ respektive „Vermittler“ zwischen der Gewerkschaft und Levoni bezeichnet.

Milani kommt direkt in Untersuchungshaft. Tags drauf streiken die Beschäftigten in dutzenden Unternehmen in ganz Italien. Milani wird nach einer Nacht aus der Untersuchungshaft entlassen, mit der Auflage, seine Heimatgemeinde nicht zu verlassen. Piccini steht unter Hausarrest.

Am 4. Februar demonstrieren 1.000 Arbeiter_innen in Bologna, um gegen das, was sie als Angriffe gegen sich selbst wahrnehmen, zu protestieren. Sie blockieren den Bahnhof, weil ihre Demoroute im letzten Moment verboten wurde.

Modena und die Niederlassung Castelnuovo di Rangoni akzeptiert nicht, dass in diesem Umfeld die Rechte der Arbeiter_innen vorangebracht werden

sagt eine Aktivsitin während der Demonstration.

Das Gerichtsverfahren gegen Aldo Milani ist nicht abgeschlossen. Die Proteste vor AlcarUno gehen bis zum Frühsommer 2017 weiter. Ein neuer Film fasst die Vorgänge bei Alcar Uno/Levoni zusammen. Das Material vermittelt einen unmittelbaren Eindruck von der brutalen körperlichen Gewalt, die gegen die überausgebeuteten Arbeiter eingesetzt wurde.

Update Oktober 2017: Für alle Arbeiter wurden zwar mittlerweile die Nachzahlung der aussehenden Löhne und Sozialversicherungebeiträge erreicht, sodass die Entlassenen jetzt Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Fast allen Arbeitern, die sich an dem Kampf beteiligt haben, wurden jedoch kürzlich eine oder mehrere Anzeigen wegen Gewaltanwendung zugestellt.

Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn eine kämpferische Gewerkschaft, die von einem großen, alteingesessenen Unternehmen wie Levoni 900.000 Euro Nachzahlungen fordert, von Polizei, Medien und Justiz gemeinsam in einer solchen Art und Weise angegriffen wird? Auf der Webseite militantquotidien wird ein berühmtes Zitat von Karl Polanyi herangezogen, um die Ereignisse zu deuten:

Nach der Abschaffung des demokratisch-politischen Bereichs bleibt nur das Wirtschaftsleben. Kapitalismus, so wie er in den verschiedenen Industriesektoren organisiert ist, wird zur ganzen Gesellschaft. Das ist die faschistische Lösung.

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