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Die Bewegung der migrantischen Lagerarbeiter_innen in Italien

Frau mit SICobas T-Shirt und Mann bei einer Sitzblockade, untergehakt, vor dem Warenlager der Firma Yoox, vertreten durch die Kooperative Mr. Job in Bologna, Italien

Die Bewegung der migrantischen Lagerarbeiter_innen in Italien

6 Videos | 2015

Seit 2008 organisieren sich die migrantischen Arbeiter_innen in den Warenlagern der italienischen Poebene. Sie blockieren die Tore der Warenlager und zwingen so ihre Arbeitgeber an den Verhandlungstisch und zu weitreichenden Zugeständnissen. Dies aus einer Situation der Überausbeutung heraus, die sie selbst immer wieder als "Sklaverei" bezeichnen. Gefälschte Lohnabrechnungen, entlassen zu werden, sobald der Rücken ruiniert ist, kein Urlaubs- und Krankengeld, stundenlanges Warten vor den Toren, um überhaupt arbeiten zu dürfen, rassistische Beleidigungen und sexualisierte Gewalt durch die Vorarbeiter sind nur einige der Gründe, weshalb die Arbeiter_innen begonnen haben sich zu organisieren. Nach einigen spektakulären Erfolgen, v.a. in Origgio bei Mailand 2008, wo alle 280 Arbeiter 400 Euro mehr Lohn im Monat erkämpften und 2011 bei TNT in Piacenza, verbreitet sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer unter den migrantischen Communities: Es ist möglich sich zur Wehr zu setzen und zu gewinnen!

Bei vielen großen Kurierdiensten wie GLS, TNT, Bartolini, DHL und SDA ist es den Arbeiter_innen seitdem gelungen, sich aus ihrer Position als vernutzbares Menschenmaterial am untersten Ende der Lohnskala herauszukämpfen. Dabei bedienen sie sich der Basisgewerkschaft S.I. Cobas. Diese kleine, kämpferische Basisgewerkschaft dient auch als Bindeglied zu linken Gruppen, die die Streiks und Blockaden von außen unterstützen.

In diesem Videobeitrag des italienischen Kollektivs ClashCityWorkers erklärt ein TNT Arbeiter, wie die Ausbeutung organisiert ist. Die Arbeiter_innen sind nicht direkt bei den großen Unternehmen eingestellt, sondern bei sogenannten Kooperativen. Bei diesen Kooperativen gelten sie als Mitglieder der Kooperative und es müssen ihnen daher weniger Rechte zugestanden werden als normalen Arbeitnehmer_innen.

Im März 2014 haben wir einen Lagerarbeiter, der als Delegierter gewerkschaftlich aktiv ist und zwei im S.I. Cobas engagierte Genossen in Berlin kennengelernt, weil sie an einem Treffen der europäischen Basisgewerkschaften teilgenahmen. Sie erzählten von ihren Kämpfen und wöchentlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei vor den Toren der bestreikten Warenlager und ihrem Erfolgsrezept: Produktionsmacht ausspielen und so viel Schaden wie möglich anzurichten, um die Arbeitgeber an den Verhandlungstisch zu zwingen. und dass es dabei auch nötig sein kann, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen: 

Wenn wir Streikposten machen, dürften wir eigentlich weder Waren, noch Produktionsmittel noch Menschen blockieren. - Wir blockieren aber in der totalen Illegalität alles.

Am Tag nach dem Treffen baten wir die drei zu einem umfassenden Interview. Es gibt einen Überblick über die Geschichte des Kampfzyklus, die Zusammensetzung der Belegschaften in den Warenlagern, deren soziale und rechtliche Situation und die Art und Weise, wie sich die Logistikarbeiter_innen organisieren. Das Interview wurde von Genossinnen in Italien ins Chinesische übersetzt.

Um die Serie von erfolgreichen Streiks zu unterbrechen hat IKEA in Piacenza im Juni 2014 24 Arbeiter entlassen - alle 24 waren im S.I.Cobas organisiert. Um Druck für die Wiedereinstellung herzustellen, haben linke Gruppen zu einem Aktionstag am 26. Juli aufgerufen, um vor IKEA Filialen gegen für ein Streikrecht bei IKEA zu demonstrieren und den Konzern unter Druck zu setzen. Wir haben ein Mobilisierungsvideo für diesen Aktionstag produziert mit einem ersten Überblick über die Bedeutung und Dynamik der Kämpfe.

Der Kampfzyklus in der Logistik hat etwas fast Vergessenes auf die politische Agenda zurückgebracht: den Sieg. 

(Anna Curcio) 

Am 26. Juli 2014 gab es in Berlin eine Flugblattaktion um die IKEA Kund_innen über das gewerkschaftsfeindliche Vorgehen von Ikea in Piacenza zu informieren. Zeitgleich gab es auch in Hamburg und Wien Aktionen für die Wiedereinstellung der Entlassenen. Die Aktionen blieben recht klein. Dennoch waren sie für die Arbeiter_innen in Italien ein Zeichen dafür, dass Nachrichten über ihre Kämpfe über die Landesgrenzen hinaus gelangt waren.

Die Angst wegschmeißen

Im September 2014 sind wir mit einem kleinen Team nach Italien gefahren, um einen ausführlichen Dokumentarfilm über die Bewegung der Logistikarbeiter_innen zu machen.  Es waren vor allem drei Gründe die uns dazu bewogen haben: Erstens schien es uns bemerkenswert, dass es sich um eine Bewegung von ganz unten halndelte: gerade die Migrant_innen, von denen oft geglaubt wird, dass sie so sehr um das tägliche Überleben kämpen müssen, dass sie keine Möglichkeit haben sich zur Wehr zu setzen, haben sich zusammengetan und aufbegehrt. Zweitens ist die Streikbewegung weitgehend selbst organisiert. Nachdem sie Arbeiter_innen sich vergebens an die großen Gewerkschaftsdachverbände CGIL, CILS und UIL gewandt hatten um zu hören, dass es keine Möglichkeit gebe sich zu wehren, haben sie sich an eine Handvoll älterer Aktivisten gewandt die schon seit den 70er Jahren bei Fabrikkämpfen in Mailand und Turin aktiv waren. Diese schätzen die Situation anders ein und stellten sich den Arbeiter_inenn zur verfügung. Sie steuerten in gewerkschaftliches Know How bei und sorgten dafür dass auch betriebsfremde Linke vor den Werkstoren auftauchten wenn  gestreikt wurde. Drittens fanden wir es in einer Situation in der die Begelschaften in den europäischen Industrieländern erfolglos Abwehrkämpfe führen und in vielen Branchen seit Jahrzehnten Reallohnverluste in Kauf nehmen wichtig, Kämpfe zu dokumentieren, die nicht von der Idee der Sozialpartnerschaft verseucht, militant und erfolgreich sind und sich bis heute ausbreiten. Wir hoffen, dass der Film hilft, die Idee zu verbreiten, dass es möglich ist zu gewinnen.

Ich redete seit 2012 mit den Mädels, denn ich hatte von der Gewerkschaft SI Cobas gehört. Aber es gab da eine große Angst, denn sie bringen dich in eine Situation der Unterwürfigkeit. Du bist versklavt. Sie machen dir solche Angst, dass du nichtmal mehr "A" sagst. Du sagst gar nichts mehr, du arbeitest Stück für Stück für Stück...  Ich sprach also mit den Mädels und ich weiß nicht, wie es kam: Es war ein Glück.

(Yoox Arbeiterin, aus dem Film)

Der Kampf (bei YOOX) geht weiter

Im August 2015 wurden die Arbeiterin, von der dieses Zitat stammt, zusammen mit sieben ihrer Kolleg_innen entlassen. Allen Entlassenen gemeinsam ist ihr Engagement in den Streiks des Jahres 2014 und ihre Mitgliedschaft im S.I.Cobas. Aus Solidarität mit ihnen wurde am 21. September 2015 der riesige Logistik Hub Bolognas, der Interporto, lahmgelegt. Im Video ist zu sehen, wie eine Bloackade des Yoox Warenlagers in Bologna von der Polizei geräumt wird. "Sie dürfen nicht immer gewinnen, nur weil sie Geld haben und wir arm sind", sagt eine Arbeiterin während der Sitzblockade. 

Er ist mit 19jährigen Mädchen ins Bett gegangen, und wenn sie nicht mitmachten, hat er sie entlassen,

erzählt sie über einen Vorarbeiter, der immer noch im Warenlager arbeitet.

Ausweitung auf andere Branchen

Am 18. März 2016 fand in Italien ein von einigen Basisgewerkschaften organisierter Generalstreik statt. Unter dem Motto "Krieg dem Kriege" gingen in Städten wie Neapel, Bologna, Mailand, Florenz, Parma und Turin Arbeiter_innen auf die Straße, um gegen die Kriege, die Kürzungen der Sozialausgaben, die Lockerung des Kündigungsschutzes und den sogenanten "Jobs Act" zu protestieren. (Der "Jobs Act" ist ein Bündel von Gesetzen, die die Situation der Arbeitnehmer_innen in Italien massiv verschlechtert.) 

Auf der Straße waren v.a. Logistikarbeiter_innen. Im Video sehen wir den Sprecher der S.I.Cobas, Aldo Milani, der betonte, dass der Kampf von der Logistikbranche auf andere Branchen ausgeweitet werden müsse. Vor den Demonstrationen in den Innenstädten gab es viele Streikposten, z.B. vor Maserati in  Modena, aber auch in Senigallia, Pavia, Pordenone, Piacenza. Wieder einmal wurde die Logisikindustriezone Interporto (die nur eine Zufahrtsstraße hat) in Bologna blockiert. Mitgemacht haben auch in Basisgewerkschaften organisierte Busfahrer, Zug- und U-Bahnpersonal, sodass Züge, Busse und Flugzeuge in mehreren Städten still standen. Student_innen haben in Solidarität mit dem Streik die politikwissenschaftliche Fakultät in Bologna besetzt. 

Der italienische Ministerpräsident Renzi sah sich genötigt, sich noch am selben Tag am Rande des EU Gipfels über den Generalstreik lustig zu machen und in etwas verklausulierter Form das Verbot der Gewerkschaften zu fordern, die ihn organisiert haben.

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